Was tun an einem der heißesten Wochenenden? Natürlich auf den höchsten Punkt Österreichs. Mein heutiger Tourenpartner Flo hatte spontan die Idee, dass wir uns ein Platzerl in der Stüdlhütte buchen könnten. Und wir hatten Glück und bekamen kurzfristig tatsächlich noch zwei freie Betten im Lager.
Plan A und die “Extended Version”
Unser Plan A war die Glocknerwand-Überschreitung mit dem erweiterten Plan 2.0, dem Nordwestgrat auf den Großglockner, der uns leider verwehrt geblieben ist. Warum? Dazu später.
Nach einem stärkenden Frühstück starteten wir um 5 Uhr Früh von der Stüdlhütte zum Teischnitzkees. Kurzer Stopp, um die Gletscherausrüstung auszupacken und weiter über den Gletscher auf dem gut gefrorenen Firn zum Teufelskamp Sattel. (Ca. 2 Stunden) Voller Vorfreude auf die Kletterei am bevorstehenden Grat nahmen wir das Seil auf, um zur Hofmannspitze empor zu steigen. Und da lag sie vor uns: Die Glocknerwand in voller Pracht.
Über sieben Türme musst du gehen
Nun startete die sehr abwechslungsreiche Gratkletterei – ein ständiges Auf und Ab über die Glocknerwand mit ihren sieben Türmen. Die meisten Abschnitte kletterten wir seilfrei, manche am kurzen Seil und hin und wieder sicherten wir uns gegenseitig bzw. mussten kurz abseilen. So passierten wir zügig Felsnadel für Felsnadel:
- Hofmannspitze 3.711 m
- Pöschlturm 3.721 m
- Gerinturm 3.718 m
- Draschturm 3.716 m
- Weizenböckturm 3.710 m
- Peterkaturm 3.715 m
- Hörtnaglturm 3.719 m
Falscher Ehrgeiz am Berg
Nachdem wir in flottem Tempo vorangekommen sind und konditionell sowie mental top fit waren, wäre der weitere Aufstieg über den Nordwestgrat auf den Großglockner noch locker drinnen gewesen. Wäre da nicht, wie so oft bei Bergtouren, ein kleines ABER gewesen.
Das “Hindernis” war eine kleine Gruppe mit vier Alpinist:innen, die am Grat immer wieder vor uns sichtbar waren und mit der es vor dem Teufelshorn dann zu einem kleinen Auflauf kam. Trotz unseres deutlich schnelleren Tempos und einer kurzen Diskussion innerhalb ihrer Gruppe, haben sie sich dagegen entschieden, uns zwei vorzulassen. Das passiert leider immer wieder, dass schwächere Gruppen, aus welchen Gründen auch immer (Egoismus? Stolz? Vorrecht des Ersten?) niemand vorbeilassen und für unnötig Stau sorgen. Schade!
Nachdem wir hinter den Vieren nur langsam vorangekommen und wir ständig einem Steinschlag Risiko ausgesetzt gewesen wären, entschieden sich Flo und ich an diesem Punkt für den Abstieg – einer kleinen Odyssee, wie sich etwas später herausstellen sollte.
Eine Abstiegsodyssee durch die untere Glocknerscharte in 4 Akte
Etwas spärlich ging es in die untere Glocknerscharte und Richtung Teufelshorn. Hier stand eine sehr wichtige Entscheidung an:
- Option 1: Langsam und zeitaufwändig über das Teufelshorn zum Großglockner (hinter der „netten“ Vierergruppe)
- Option 2: Über den Felskamm zurückklettern, um über den Grögerweg abzusteigen bzw. abzuseilen
Nach einer kurzen Pause und einigen vorbei tosenden Steinen war für Flo und mich klar, wir müssen die schnellstmögliche und sicherere Flucht nach unten antreten. Also Option 2.
Akt 1: Der genussvolle Abseiler
Der erste 25 m Abseiler in die etwas ausgeaperte Rinne war mit einem Abseilring sehr gut ausgestattet. Doch bereits kurze Zeit später stellten wir fest, dass unser gewählter Abstieg nicht unbedingt die Wellness-Variante war, sondern unsere mentale Stärke und Seiltechnik-Kenntnisse auf die Probe stellte.
Kurze Schleichwerbung an dieser Stelle: Witzigerweise haben wir beide unabhängig voneinander vor ein paar Jahren einen Hochtourenkurs bei unserem Lieblings-Bergführer René Guhl (Alpinschule Bergpuls) gemacht. Mit den vielen gelernten Tipps und Tricks konnten wir die Herausforderungen bestens meistern. Auch wenn es kein Honig schlecken war.
Akt 2: Der alpine Abseiler
Der nächste Abseiler war nicht mehr ganz so luxuriös mit einem Abseilring ausgestattet, sondern mit einer leicht aufgescheuerten Reepschnur, welche um ein massives Felsköpferl geknüpft war. Um kein Risiko einzugehen, “opferte” Flo eine Bandschlinge für ein sicheres Abseilen.
Akt 3: Wer “gartelt”, der findet
Es ging weiter über eine steile Schneeflanke, für die wir unsere Steigeisen anlegten und uns mit dem Pickel bewaffneten. Aufgrund der südseitigen Exposition war der Schnee schon empfindlich weich, nicht gerade optimal für einen Abstieg, zumal sich immer wieder Steine lösten und uns um die Ohren flogen. Das ließ uns noch einmal einen Zahn zulegen bis zu einer Engstelle, welche die Schlüsselstelle im Abstieg darstellte. Bis vor Kurzem war dieser Bereich mit Schnee gefüllt und leichter passierbar – uns erwartete jedoch ein ca. vier Meter steil abfallendes Felsgelände, gefolgt von einem weiteren Schneefeld, das vom oben kommenden Schmelzwasser brutal unterspült war.
Es begann die Suche nach einem geeigneten Abseil-Placement. Zu finden war vorerst nur ein nicht sehr vertrauenserweckender, rostiger Normalhacken (vermutlich von den Erstbegehern) – noch dazu genau in die voraussichtliche Abseilrichtung eingeschlagen. Alles andere als ideal zum Abseilen! Also mussten wir weitersuchen und fanden schließlich (nach einer gefühlten Ewigkeit) eine gute Möglichkeit: Ein noch auszugrabendes Felsköpferl, über welches wir unsere Abfahrt fortsetzen konnten. Gärtnerische Fähigkeiten haben schon oft beim Klettern und Setzen des ein oder anderen Keils geholfen, ganz nach dem Motto: “Wer gartelt, der findet!”
Akt 4: Merke: eine Randkluft ist kein Podest
Zu unserer großen Freude fanden wir einen neuen Bohrhaken in einer vom Steinschlag geschützten Nische. Ideal, um Schutz vor den teils fußballgroßen Felsklötzen, die immer wieder an uns vorbei brausten, zu finden und kurz durchzuatmen. Unsere Blicke schweiften nach unten, zu einem leicht abflachenden Schneepodest. Perfekt: “Schnell seilfrei runter auf das Podest, anseilen und raus aus dem Gefahrenbereich!”
Drei Meter vor dem vermeintlichen Podest stellten wir jedoch fest, dass es sich nicht um einen feinen Anseilplatz handelte, sondern um die Randkluft. Oh oh! Schnell angeseilt sicherten wir uns über die Randkluft und folgten dem Labyrinth aus Gletscherspalten schnellstmöglich nach unten. Nach wie vor war vollste Konzentration gefordert, denn durch die mittlerweile starke Tageserwärmung waren die Schneebrücken über die Spalten extrem dünn und instabil.
Dank Schokokuchen: Ende gut, alles gut
Die Freude war groß, als wir heil wieder bei der Stüdlhütte ankamen und bei einem wohlverdienten Schokokuchen die Tour Revue passieren ließen. Was für ein intensiver und langer Tag über eine geniale Route und mit einem Top-Seilpartner.
[Tour vom 15/07/2023]
Eckdaten zur Tour
- Ausgangspunkt: Stüdlhütte
- Versuchter Gipfel: Großglockner (3.798 m)
- Tatsächlicher Gipfel: Glocknerwand (3.721 m)
- Höhenmeter: 970 hm
- Kilometer: 13,7 km
- Wetter: Etwas zu warm, aber insgesamt ein perfektes Hochtourenwetter
- G’störte Tour weil: Sehr alpinistisch, der Abstieg über den Gröterweg etwas g’stört.
- Erwähnenswertes: Die Küche der Stüdlhütte ist erste Klasse.