Wer kennt es nicht: die Zeit vergeht wie im Flug. Und irgendwie ging auch dieser Sommer schon wieder zu schnell vorbei und ich habe zu wenig Touren gemacht. Eine kleine Ausrede auch noch, warum ich wenig unterwegs war: Bänderzerrung und damit schmerzbedingten Ausfall von ein paar Wochen. Warum ich jetzt über meine (kleine) Verletzung berichte? Weil es – und das nicht zum ersten Mal – Glück im Unglück war und die kleinen persönlichen Fehler am Berg oft nicht zugegeben werden, die knapp nicht zu größeren Unfällen oder Problemen geworden sind. Und darüber spricht man eigentlich viel zu wenig! Daher diesmal ein Bericht, der persönliche Erlebnisse, die glücklicherweise nicht schlimm geendet haben, mit Umfragen untermauert…
Beinahe schiefgegangen – ein paar Zahlen, Daten, Fakten
Die Idee zu dieser Story hat mir eine Reportage im „bergundsteigen“ (Ausgabe Sommer 2022) gegeben. „Beinahe schiefgegangen“ berichtet von einer Online-Befragung der DAV Sicherheitsforschung zum komplexen Thema „Unfälle und Notlagen“. Das Forschungsteam wollte dabei Erkenntnisse über jene Situationen am Berg gewinnen, bei denen die Situation zwar kritisch war, aber nicht notwendigerweise die Bergrettung gerufen werden musste, sondern es letztendlich noch mal gut gegangen ist. Denn das DAV Forschungsteam sagt berechtigterweise, dass die gemeldeten Unfälle nur die Spitze des Eisberges sind, der verborgene Teil der Unfälle oder Notsituationen aber oftmals das gefährlichere Unfallpotential darstellt und man dadurch besser Präventionsmaßnahmen entwickeln könnte.
Unsicher fühlen (82 % der Befragten), stolpern, rutschen (77 %) – das waren die am häufigsten genannten Bedrängnis-Situationen. Und diese Notlage passierte den Befragten deutlich öfter als nur einmal (33 %). Wenngleich das Ausmaß der Bedrängnisse aufgrund Trittsicherheit überrascht, so spiegelt es sich in der DAV Unfallstatistik wieder, die besagt, dass 46 % der Unfälle am Berg durch Stolpern, Umknicken oder Ausrutschen passieren. Die Untersuchung zeigte aber auch, dass die Befragten die Situationen trotzdem als meist nicht sehr gefährlich einschätzen.
Neigt der Mensch in der nachträglichen Reflexion dazu, den Grad der Gefahr abzuschwächen? Ist es ein grundmenschliches Bedürfnis, Befriedigung empfinden zu wollen, Situationen unter Kontrolle zu haben und sich als jemand zu sehen, der richtige Entscheidungen treffen kann? Eine Notsituation kann daher wohl nur ausreichend reflektiert werden, wenn man sich öffnet und/oder die Erfahrung mit anderen Betroffenen bespricht. (Quelle: Beinahe schiefgegangen. Das Unfallpotential beim Bergwandern. In: bergundsteigen, Jahrgang 31, Sommer 2022, # 119, S. 32-42)
(M)eine Reflexion #1: Sonnenuntergang mit Folgen
Ein wunderschöner Sonnenuntergang im Gosaukamm am Donnerkogel. Noch die letzten Fotos gemacht und nun, nachdem die Sonne am Horizont verschwand, husch husch bergab und schnell nach Hause.
Und dann ist es schon passiert… In den ersten fünf Minuten des Abstiegs, also noch fast am Gipfel: ein Stolpern, ein Stich und weh tat das Sprunggelenk! Und in den eigenen Gedanken haben sich ab diesem Zeitpunkt Dramen abgespielt:
„Nun aber nur nicht jammern! Es wird bald finster… Geh leck, es sind noch über 1.000 Höhenmeter! Nur nicht jammern, da muss ich runter! Morgen hab ich wichtige Termine… es geht schon, kann mich ja auf die Stöcke stützen! Scheiße, was mache ich, wenn es nun finster wird und ich doch nicht mehr kann? Nur nicht jammern, das wird schon! Eigentlich habe ich ja nichts falsch gemacht… es war ja nur ein Ausrutschen, kann ja nicht so schlimm sein! Oh Mann!!! Die letzten 15 Minuten noch bergab, dann ist es geschafft! Ich kann nicht mehr… Jetzt aber sicher nicht mehr jammern! Reiß dich zusammen! Nun musst du nur noch den Schuh ausziehen können! Oje… das Gelenk ist richtig geschwollen… das sieht nicht gut aus… aber ich bin zuhause und habe über 1.000 Höhenmeter Abstieg überlebt!“
Und die Moral von der Geschicht? Reflektiert habe ich auch diese nicht!
In Wahrheit geschieht dies erst jetzt durch das Schreiben dieser Story: Das Ausrutschen war an einer ungefährlichen Stelle, Bänder und Muskeln haben bis zum Ende „brav“ mitgespielt und prinzipiell waren wir gut ausgerüstet (Licht, Kleidung, Stöcke). Was mich im Nachhinein am meisten fasziniert hat? Wie stark der Körper sein kann, wenn der Wille vorhanden ist! Das Wissen, man muss hinunter gehen, denn eine Rettung im Dunkeln wäre alles andere als fein, hat mich unglaublich lange „funktionieren“ und die Schmerzen ausblenden lassen. Erst gegen Ende hin, wurden diese nahezu unerträglich. Und am Ende war auch nichts gebrochen oder gerissen, sondern nur gezerrt. Fazit dieser Geschichte: Gut ausgegangen, hätte aber viel Potential für ein schlimmeres Ende mit Bergung im Dunkeln, Sturz an gefährlicherer Stelle, etc. gehabt. Dessen muss man sich voll bewusst sein. Also echt GLÜCK GEHABT!
Und wenn man genau nachdenkt, gibt es doch einige solcher Geschichten…
(M)eine Reflexion #2: Doppelt Glück im Gosaukamm
Letzte Skitour eines Frühjahres (vor ein paar Jahren) in einer Gosaukamm-Rinne. Ganz zeitig in der Früh noch schnell rauf, bevor um 10 Uhr der nächste Termin anstand. Natürlich alleine, denn wer mag im Juni um 5 Uhr früh noch Skitouren gehen? Gute Bedingungen, etwas windig, aber der Schnee war noch ok. Und dann ein Pfeifen hinter mir… Nein, das war nicht der Wind!! Es war ein Stein mit rund 20 cm Durchmesser, der mit einer Geschwindigkeit von „was weiß ich“ ca. 2 Meter hinter mir und einem schrillen Geräusch vorbeizischte. Ausgelöst von einer gemütlich wandernden Gämse etwa 200 Meter oberhalb von mir. Fast hätte mich der Stein weggerammt und da wäre mit Sicherheit nix mehr zu retten gewesen in diesem steilen Kar…Nun könnte man sagen, so was kann immer passieren. Aber hätte ich vielleicht nicht doch lieber öfter nach oben schauen sollen, statt dem sturen „hinaufhirschen“? Hätte ich die Gämse eher entdeckt und vielleicht mehr aus ihrem „Schussfeld“ gehen können? Man kann am Ende immer sagen „hätte ich doch…“ aber was ich fix sagen kann: da habe ich ECHT GLÜCK GEHABT!
Aber es war noch nicht vorbei für heute… selbe Tour, selbe Rinne, selber Tag, selbes Glück: bei der Abfahrt gibt es eine Stelle, wo man nicht stürzen sollte. Mir war klar: volle Konzentration nach dem Ereignis mit der Gämse, dass ich nun sicher runter komme! Nur kein weiteres Risiko mehr. Und wusch, schon hatte ich eingefädelt bei einem gefrorenen Schneebrocken! Ski weg, Sturz nach vorne, abrutschen in Richtung Fels! Toll… Glücklicherweise war der Schnee schon weich, ich konnte mich schnell auffangen und auch der Ski blieb – wie und warum auch immer – bei einem Eis-Gesteins-Brocken hängen. Puhhhh… und nochmal ECHT GLÜCK GEHABT!
Das blieb die letzte Skitour in dieser Saison – ich wollte mein Glück nun wirklich nicht mehr herausfordern! Zweimal um Haaresbreite einer Katastrophe entkommen, das sollte reichen. Im Nachhinein betrachtet: ja, solche Situationen können immer passieren, aber bei dieser Steilrinnen-Tour bin ich sicher „zu schnell“ einfach noch mal im „gewohnten und bekannten“ Gelände rauf und habe mich „zu sicher“ und „unzerstörbar“ gefühlt.
(M)eine Reflexion #3: Alles für ein Foto
Ja, ich ertappe mich selber auch manchmal, dass mir Gipfelbilder unglaublich wichtig sind. Vor allem bei Sonnenauf/-untergängen oder wenn Nebel im Tal ist, werde ich immer schwach. Und ja, ich gebe zu, es ist auch manchmal ein Streben nach Anerkennung und Bewunderung. Nicht jeder kann zu jeder Tages- und Nachtzeit und bei allen Bedingungen auf den Dachstein gehen… und so betrachtet sollte ich es eigentlich auch nicht bei allen Bedingungen tun!!
Meine Rekordzeit hatte ich einmal bei einer Skitour im Frühling – aus Angst getrieben. Angst, weil ich über rund 1.000 Höhenmeter im Nebel völlig orientierungslos hinaufging, immer wieder die Spur verlor und der Nebel bis knapp unter dem Gipfel teilweise so dicht war, dass man nur wenige Meter gesehen hat. Und natürlich ohne GPS, denn ich gehe ja eh nur auf den Dachstein… „Umdrehen? Geht schon, da kenn ich mich eh aus, das ist eh mein Gelände!“
Ich habe den Gipfel erreicht und auch wieder runter gefunden! Es gibt zwar um diese Zeit noch keine nennenswerten Spalten, jedoch trotzdem steile Flanken, Felsen und Steinschlaggefahr. Ich hätte umdrehen sollen und muss nach dieser Tour erneut sagen: wieder mal GLÜCK GEHABT!
Über diese Story haben wir auch schon mal als Einzelartikel berichtet – hier der Link zum Beitrag „Dachstein im Nebel“.
Die „Belohnung“ war schlussendlich ein tolles Foto am Gipfel! „Schaut her, wie großartig das ist! Und ich darf es exklusiv erleben!“ Damit auch die Überleitung zum nächsten Thema…
Aus Fehlern lernen: #shithappens
Dabei komme ich noch auf einen weiteren Artikel im „bergundsteigen“ zum Thema Social Media und Risikobereitschaft zurück. (Quelle: #powderporn #climbporn. In: bergundsteigen, Jahrgang 31, Sommer 2022, # 119, S. 94-105)
Natürlich pushen die Sozialen Medien und deren „Stars“ ihre Community, immer besser, schneller, cooler, mutiger, etc. zu werden. Die Plattformen können aber auch umgekehrt genutzt werden. „Shit happens“ heißt es immer mehr in Nordamerika drüben, das lachende Gesicht wird neben proaktiven Tipps und niederschwelligen Informationen gepostet. In unseren Breitengraden fehlt dieser Umgang mit einer allgemeinen Fehlerkultur. Fehler können passieren, reflektiere sie, lerne daraus und mache es beim nächsten Mal besser! Es muss also nicht generell um eine Reduzierung des Risikos gehen, sondern mehr um ein höheres Risikobewusstsein und dass das Risiko letztendlich nicht versehentlich eingegangen wird, sondern auch bewusst wahrgenommen und abgewogen werden kann. Und so können die Sozialen Medien auch positiv genutzt werden. Als realistischer Infokanal über aktuelle Bedingungen, als mutiger Weg, über Fehler und Verzichte zu sprechen, weg von der reinen persönlichen Inszenierung. Was natürlich nicht heißt, dass nicht zwischendurch auch das perfekte Erlebnis gepostet werden darf – aber halt ehrlich!
Das soll auch das Ziel dieses Beitrages und auch generell unserer Website „g’störte Touren“ sein. Der Himmel ist nicht immer blau, die Sonne scheint nicht immer. Es gibt manchmal schlechtes Wetter und Probleme, die einen zum Umkehren zwingen, genauso wie Bedenken, die auftreten können, Missgeschicke, die passieren können. Das ist am Berg und in der Natur halt so. Aber wenn wir diese Situationen reflektieren, dann nützen sie uns letztendlich was und wir wachsen dadurch in unserer Erfahrung. Einzusehen, dass man manchmal GLÜCK GEHABT hat und zu analysieren, warum man in diese Situation gekommen ist, sollte noch viel selbstverständlicher werden.
So, aber nun genug „gefachsimpelt“, gehen wir wieder rauf auf den Berg! Denn GipfelGLÜCK ist immer noch unser höchstes GLÜCK! 😉