Die Route über den Nordgrat auf den Großvenediger stand bereits vor drei Jahren auf dem Plan. Damals machte uns jedoch das Wetter einen Strich durch die Rechnung: Zwei Tage Nebel, Regen, Schnee und Eis. Plan B über den Geiger Ostgrat fiel ebenso ins Wasser bzw. besser gesagt führte ins totale Whiteout. Übrig blieb Plan C: Über den Normalweg auf den Venediger. Eine wunderbare Vorbereitung auf die damals anstehende Spaghetti-Runde im Jahr 2020 und ideale Testbedingungen für unsere Ausrüstung.
Alle guten Dinge sind mindestens zwei!
Bei unserem zweiten Versuch hatten wir heute deutlich mehr Glück. Dieses Mal war alles perfekt! Wir starteten um 4 Uhr Früh von der Kürsinger Hütte Richtung Einstieg zum Nordgrat. Dank einer sternenklaren Nacht war der Schnee relativ kompakt und angenehm zu gehen. Und auch die oft erwähnten Spalten beim Zustieg zur Wand stellten keine Herausforderung dar, da diese großteils noch geschlossen waren. (Zustieg ca. 2,5 Stunden)
Vom Einstieg in die Keidelscharte
Der erste Teil des Grates ab dem Einstieg, zur markanten Stange auf ca. 3.295 m und der ersten Abkletterei im 3. Schwierigkeitsgrad, hatten wir rasch gemeistert. Zumal das Abklettern dank einer Abseilmöglichkeit (mit zwei verbundenen Bohrhaken) deutlich entschärft ist. Gefolgt von einem weiteren An- und Abstieg in die Keidelscharte war dieser Teil aus meiner Sicht mental der fordernste Part der gesamten Route, da der Grat hier die schmalsten Stellen aufweist und man sehr trittsicher und schwindelfrei sein muss. (ca. 45 Min)
Der zweite Aufschwung über den Torwächter in die Meynow-Scharte
Der nächste Teil des Grates hinauf zum Torwächter (3.465 m) und wieder hinab zur Meynow-Scharte war relativ gemütlich – keine großen Schwierigkeiten, sondern eher leichtes Block-Gehgelände. Und im Vergleich zum ersten Anstieg auch relativ breit. (ca. 1 Stunde)
Großvenediger, wir kommen!
Auf den letzten Teil haben wir uns am meisten gefreut, zumal wir unglaublich neugierig auf die “böse Platte” waren. Nach einer kurzen Jausenpause in der windstillen Meynow-Scharte, welche etwa die Hälfte des Grates ist, stiegen wir motiviert empor bis zur Platte. Wir geben ihr den Namen “schöne Platte”, denn die Kletterpassage ist sehr gut mit vier Bohrhaken und zwei Standplätzen abgesichert. Und auch die Kletterei (UIAA 4-) ist im super griffigen Fels mit den Bergschuhen kein Problem. Schade, dass die Stelle so kurz war. Ab jetzt trennten uns nur noch wenige Höhenmeter im leichten Gehgelände (UIAA 1-2) vom Gipfel, was rasch überwunden war. (ca. 2 Stunden)
Oben angekommen und glücklich
Am Gipfel angekommen, wurden wir von den zahlreichen Gipfelbesteiger:innen, welche über die diversen Normalwege angepilgert kamen, erschlagen. Immer wieder haben wir im Aufstieg vom Grat auf den Gletscher geblickt und die vielen kleinen Ameisenkolonien gesehen und uns so glücklich gefühlt, dass wir am Grat völlig alleine und in Ruhe unterwegs waren. An diesem Tag war außer uns nur eine 2er-Seilschaft weit vor uns am Grat. Die Beschreibung “rassige Grattour als Geheimtipp”, die man in diversen Berichten über den Nordgrat liest, trifft also absolut zu!
Kleiner Fun Fact zum Schluss: Die Thalgauerin Maria Gärtner war 1892 die erste Frau am Gipfel des Großvenedigers.
[Tour vom 08/07/2023]
Eckdaten zur Tour
- Ausgangspunkt: Kürsinger Hütte
- Gipfel: Großvenediger 3.657 m
- Höhenmeter: 1.288 hm
- Kilometer: 14,59 km
- Wetter: sonnig und stabil bis zum späten Nachmittag
- G’störte Tour weil: –
- Erwähnenswertes: Fortbewegen am kurzen Seil bzw. seilfrei ist unbedingt notwendig, damit man zügig vorankommt. Abgesehen von der “bösen Platte” und der Abseilstelle gingen wir alles seilfrei. Insgesamt eine sehr lohnende Grattour. Definitiv so schön, aber deutlich einsamer, als der Stüdlgrat am Glockner. Eine gute Tourenbeschreibung inkl. Topo gibt es auf bergsteigen.com.