Versuch Arrete de Lachenal Traverse oder: Tag der kuriosen „Highlights“

Nach ein paar verregneten Tagen in Chamonix waren heute alle hungrig, möglichst früh mit der Aguille du Midi Bahn hochzufahren und eine Hochtour zu machen. Zahlreiche Bergsteiger standen bereits in einer langen Schlange – ist es doch recht bequem, wenn man mit der Gondel auf 3.842 m hochfahren und von dort auf das Gletscherplateau gemütlich absteigen kann. Für uns war es das erste Mal in Chamonix und die erste Fahrt mit der Aguille du Midi. Gott sei Dank wussten wir noch nicht, was wir alles erleben und sehen werden, sonst wären wir vielleicht gar nicht hochgefahren.

Highlight #1: Tränen in Pink

Oben angekommen war der Abstieg zum Gletscher bereits recht spannend. Unzählige Seilschaften vor uns, wenig Disziplin beim Abstieg in der Schlange und vor allem Menschen, die offensichtlich das erste Mal Steigeisen anhatten und mit den Lemmingen absteigen mussten. Da floss schon die ein oder andere Träne bei Ungeübten (in rosa Skihosen) vor Verzweiflung auf den ersten Abstiegsmetern Richtung Gletscherplateau.

Highlight #2: „Let’s have an adventure!“

Das nächste Highlight war das Kennenlernen von Amy und Jacob, einem kanadischen Pärchen, das ebenfalls die Traverse geplant hatte. Bereits beim Einstieg haben sie uns erzählt, was sie in den letzten Tagen nicht alles gemacht haben, inklusive dem Mont Blanc. Daher hatten wir umso mehr Spaß beim Beobachten der zwei, wie sie immer unentspannter wurden und sich angeschrien haben. Der Gipfel war erreicht, als sich Amy vom Seil ausgebunden hat und Jacob in der Wand hängen ließ. Er wollte die Kletterei über den eisigen Fels abschließen mit dem Kommentar „Let’s have an adventure“, sie schrie nur laut, dass sie das nicht will: „I don’t want an adventure, Jacob!“, drehte sich um und ging weg.

Highlight #3: Wie die Clownfische – vor und zurück, vor und zurück, vor und zurück

Für uns war nach ca. zwei Drittel der Tour klar, dass wir diese heute nicht beenden können, so dass wir auch noch die letzte Gondel erwischen würden. Im letzten Anstieg, einer Kaminkletterei, waren bereits zwei Seilschaften vor uns im Einstieg, wovon keine der zwei wirklich einen Plan hatte. Die slowenische Dreier-Seilschaft war völlig falsch in der Route und unsicher im eisüberzogenen Fels und Amy ließ ihren Jacob in der Wand hängen. Daher haben wir es uns auf dem Sattel in der Sonne gemütlich gemacht und beobachteten das Drama in drei Akten an der Wand.

Highlight #4: Flutsch und weg

Während wir uns auf unserem lauschigen Plätzchen die Sonne ins Gesicht scheinen ließen, hörten wir plötzlich Gelächter unter uns. Eine weitere Dreier-Seilschaft, welche die Tour abgebrochen und sich den steilen Schneehang abgeseilte. Einer stand bereits unten am Seilende in der Aufstiegsspur der Slowenen, jedoch noch mitten im Hang und gab das Seil zum Abseilen für die nächste frei. Die zweite hatte bei Abseilen übersehen, dass kein Seil-Endknoten am Ende drinnen war. Mit Schwung kam sie im Steilhang ins Rutschen. Wir konnten unsere Augen von ihr nicht abwenden, denn sie fand die Situation anfangs unglaublich witzig und kicherte vor sich hin. Wir schauten immer entsetzter, denn die Dame rutsche immer näher an die Kante, worunter sich eine riesige Randkluft befand. Irgendwann fand sie es nicht mehr so lustig, hatte aber keine Ahnung, wie sie den Pickel richtig setzen sollte, und rutschte weiter. An der Kante konnte sie sich kurz halten und plötzlich: Flutsch und weg war sie – einfach über die Kante gefallen. Unterhalb querte zum Glück gerade eine Seilschaft und lief hin. Von oben konnten wir nicht sehen, wie tief sie gefallen war. Alle waren erleichtert, als die Seilschaft von unten gerufen hat, dass es ihr gut geht. Bis auf ein paar Prellungen, Aufschürfungen und einem riesen Schreck fehlte der Dame nichts. Unten angekommen haben wir gesehen, dass sie unglaubliches Glück hatte. Sie hat die einzige Stelle in der Randkluft erwischt, wo sie „nur“ 3 Meter runtergeplumpst ist, aber zumindest in keine Spalte. Wahnsinn!

Highlight #5: Abalakov what? Yes, yes, he can do this!

Wir packten zusammen, um uns auf den Rückweg zu machen. Auch die Slowenen und unsere kanadischen „Freunde“ planten ihren Rückzug. Nachdem es grundsätzlich einfacher ist, eine Abseilpiste im Schnee und Eis anzulegen, ließen wir uns auf den Vorschlag des Slowenen ein. Er meinte, sein Kollege seilt sich ab und macht unten einen Zwischenstand im Eis – eine Abalakov (Eissanduhr). Nach einiger Zeit, wo wir seinem Kollegen zusahen war klar, der Typ hat noch nie in seinem Leben eine Eissanduhr gebohrt. Also seilte sich Roli zu ihm ab, sah seine vielen Missversuche im Eis (wie ein Schweizer Käse), machte einen eigenen Stand und weiter gings. Von oben hörte man Amy wieder schimpfen. Vor lauter Ungeduld, möglichst rasch runter zu kommen, hat sich ihr Seil mit dem der Slowenen zu einem großen Kuddelmuddel verfangen. Als endlich alle heil unten waren, waren wir sehr froh, verabschiedeten uns und suchten so rasch wie möglich das Weite.

Highlight #6: Ungeduld am Gletscher wird bestraft, und zwar sofort!

Am Rückweg verarbeiteten wir unsere Erlebnisse, denn mit 15 Meter Seil zwischen seinem Partner, hat man viel Zeit zum Nachdenken. Ok, nur noch der Schlussanstieg und wir sind bei der Gondel. Da kann doch nicht mehr viel schief gehen … oder doch? Am Nachmittag tummelt sich alles im letzten Aufstieg zur Gondel. Die einen wollen hinauf, die anderen steigen ab, weil sie noch auf die Cosmique-Hütte gehen. Gar nicht so einfach, wenn es nur eine Spur gibt und links und rechts Gletscherspalten sind. Da hilft es auch nichts, wenn man unnötig herumstresst, oder glaubt, außerhalb der Spur geht es schneller. Eine tschechische Gruppe war besonders ungeduldig, stieg aus der Spur um zu überholen und flutsch, war schon wieder einer weg. Die Seilschaft war groß genug und konnte ihn gut halten, er war nur bis zur Hüfte eingebrochen.

Zurück im Tal gönnten wir uns eine Pizza und ein Bier und ließen den Tag noch einmal Revue passieren. Unsere erste Hochtour in Chamonix hätte mit den zahlreichen „Highlights“ abschreckender nicht sein können! Nichts desto trotz packten wir am Abend unsere Rucksäcke neu und bereiteten uns auf die nächste Tour auf die Petit Aiguille Verte vor.
[Tour vom 21/08/2019]

Eckdaten zur Tour

  • Ausgangspunkt: Bergstation Aguille du Midi
  • Versuchter Gipfel: Pointe Lachenal (3.613 m)
  • Tatsächliches Ziel: Sattel vor der Schlußkletterei auf 3.570 m
  • Höhenmeter: 363 hm
  • Kilometer: 5,8 km
  • Wetter: sonnig, fast zu warm für eine Hochtour, jedoch viel Neuschnee und vereiste Felsen in der letzten Kaminkletterpassage
  • G’störte Tour weil: nach ein paar Regentagen gefühlt alle Bergsteiger mit der Bahn hoch wollten und auf am Gletscherplateau unterwegs waren. Es hat sich zwar gut auf viele Touren verteilt, aber das Nadelöhr kurz nach der Bergstation war im Abstieg und Aufstieg eine riesen Geduldsprobe.
  • Erwähnenswertes: siehe Highlights #1 bis #6

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